Letztens habe ich über Menschen auf roten Teppichen nachgedacht. Ich habe selbst einmal auf einem gearbeitet – als junger Student bei der Berlinale. Am Theater am Potsdamer Platz durfte ich Eintrittskarten kontrollieren und abreißen – ein recht entspannter, aber manchmal auch sehr spannender Studentenjob. Denn abends, zu den Premieren, kamen die Hollywood-Stars. Sie liefen über den roten Teppich, ließen sich fotografieren, gingen die Treppen hinauf und winkten von oben den Menschen zu, die sich an den Absperrungen drängten.
Ich musste lächeln, als ich Nicole Kidman, Leonardo DiCaprio oder Richard Gere sah – diese Figuren, die man nur aus Filmen kennt, die es einem unmöglich machen, nicht mit ihren Rollen zu sympathisieren. Doch mein Blick wanderte auch in die Menschenmenge. Ich sah, wie einige vor Staunen kaum den Mund schließen konnten, wie sie lächelten, begeistert waren – einfach, weil sie diesen Persönlichkeiten mit nur wenigen Metern Abstand gegenüberstanden. Weil sie in ihrer Nähe waren.
Irgendetwas an dieser Situation kommt mir bis heute seltsam vor. Es hinterlässt ein komisches Gefühl, ein Geschmäckle. Irgendetwas fühlt sich nicht richtig an. Ich frage mich: Warum sind die Wartenden am roten Teppich so begeistert von Personen, die sie nicht kennen und zu denen sie keine Beziehung haben?
Später, während meines Studiums, aber auch als Musiker auf der Bühne, habe ich immer wieder über diese Machtverhältnisse nachgedacht. Sowohl, wenn ich selbst auf der Bühne stand und Menschen mich ansahen, als auch, wenn ich Menschen auf Bühnen bewunderte. In beiden Momenten spürte ich eine Sehnsucht – entweder die Sehnsucht derjenigen, die mich als Musiker unerreichbar fanden, oder meine eigene Sehnsucht nach denjenigen, die ich als unerreichbar empfand.
Im zweiten Fall fühlte ich nicht nur Sehnsucht, sondern auch einen Mangel, eine Traurigkeit. Ich bemerkte, wie ein Teil von mir sich wünschte, von der Person gesehen zu werden, die ich selbst bewunderte. Ihr Lob, ihre Anerkennung zu bekommen – das war eine wunderschöne Vorstellung für mich. Mir fehlte also etwas. Und ich glaube, jetzt endlich zu wissen, was es ist: der Vater, der mich sieht und an mich glaubt.
Deshalb: Wenn ich heute Menschen auf roten Teppichen sehe, versuche ich, mich mehr selbst in den Arm zu nehmen. Egal, ob ich sie bewundere oder nicht. Ich möchte mich nicht mehr selbst übersehen. Ich möchte auch nicht meine Freunde und meine Familie übersehen, die mir eigentlich das geben könnten, wonach ich mich in diesen Momenten sehne.
Ich möchte den Menschen auf Bühnen diese Macht nicht mehr geben. Denn mittlerweile zelebrieren wir ihr Idealbild auf eine Weise, die weder ihnen noch uns guttut. Wir wählen die lautesten Politiker, strömen in die großen Stadien zu den Stars – und übersehen dabei die kleinen Menschen. Diejenigen, die wirklich noch mit uns in Kontakt treten wollen. Diejenigen, die auf kleinen Bühnen stehen und etwas zu sagen haben.
Der Straßenmusiker.
Die Alleinerziehende.
Der Krankenpfleger.
Die Lehrerin.
Der Pastor.
Die Frau von der Eisdiele.
Onkel, Tanten, Familie – whatever.
Alles tolle Menschen, mit denen wir uns verbinden könnten. Aber wir übersehen sie, wenn wir zu oft nach oben schauen und berühmte Menschen mit unseren Fantasien bewerfen.
Wenn ich heute an einem roten Teppich vorbeilaufe, stelle ich mir vor, ich hätte eine Tochter oder einen Sohn. Wir sind auf dem Weg zum Spielplatz. Ich lasse das Kind einen Moment lang den Tumult und das Blitzlichtgewitter beobachten. Doch sobald es langweilig wird, nehmen wir uns an die Hand und gehen weiter.
Zum Spielplatz.
Dort gibt es Schaukeln.
Das ist wichtiger.
Und dass mein Kind einen Vater hat.